Die Schwangerschaft stellt eine Zeit der erhöhten Stoffwechselbelastung für die werdende Mutter dar. Schwangerschaftszucker, der sog. Gestationsdiabetes, ist eine
erstmals in der Schwangerschaft erkannte Störung des Zuckerstoffwechsels . Es ist eine zunehmende Erkrankung und mit einem geschätzten Vorkommen bei 4-8 % aller Schwangeren eine der häufigsten Schwangerschaftskomplikationen.
Veränderungen des Kohlenhydratstoffwechsels in der Schwangerschaft:
Die Schwangerschaft ist generell
durch eine diabetogene Stoffwechsellage charakterisiert . Ein Anstieg der Glukosekonzentration im mütterlichen Blut wird aber weitgehend durch eine vermehrte Insulinausschüttung sowie durch die Glukoseabgabe an den Fetus kompensiert. In den ersten Monaten der Schwangerschaft sinkt die Konzentration an Nüchternblutglukose aufgrund einer erhöhten Insulinempfindlichkeit in der Regel sogar ab.
Die zunehmende charakteristische Insulinresistenz führt ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel zu einem Anstieg der Blutzuckerwerte und ggf. auch zur Entwicklung eines Gestationsdiabetes.
Risikofaktoren für Gestationsdiabetes sind beispielsweise:
Klinische Folgen:
Ein Gestationsdiabetes kann akute und Langzeitfolgen sowohl für die Mutter als auch für das Kind mit sich bringen. In der Schwangerschaft sind die Risiken für
Harnwegsinfekte ,
Bluthochdruckerkrankung und Eklampsie bei der Mutter erhöht. Das Risiko, nach der Schwangerschaft innerhalb von 10 Jahren einen bleibenden Diabetes mellitus zu entwickeln, liegt bei 40-50 %. Das Kind kann im Mutterleib überdurchschnittlich groß werden, im schlimmsten Fall schon im Mutterleib versterben. Eine Entbindung eines sehr großen Kindes geht mit einer erhöhten Komplikationsrate für Mutter und Kind einher, nach der Geburt besteht die Gefahr von Stoffwechsel- und Atemstörungen beim Kind.
Diagnose:
Bei der Erstvorstellung in der frühen Schwangerschaft kann bei Werten ≥200 mg/dl im Rahmen der Bestimmung einer Gelegenheitsglukose der Verdacht auf einen manifesten Diabetes mellitus gestellt werden. Durch eine Zweitmessung im nüchternen Zustand kann weiter untersucht werden.
Auswertung der Nüchternglukose | |
≥126 mg/dl | Diabetes mellitus |
92-125 mg/dl | Gestationsdiabetes |
<92 mg/dl | Ohne Befund |
Liegt das Ergebnis der Gelegenheitsglukose <200 mg/dl, aber höher als bei glukosetoleranten, gesunden Schwangeren erwartet wird, d. h. zwischen 140-199 mg/dl, dann können zur weiteren Abklärung der vermuteten Hyperglykämie Blutglukose-Zweitmessungen sinnvoll sein. Hierzu zählt auch ein standardisiert durchgeführter
75-g oGTT .
Auch die Bestimmung des HbA1c kann in der Frühschwangerschaft als Diabetesscreening herangezogen werden.
Auswertung des HBA1c | |
<5,9 % | unauffällig |
5,9-6,5 % | 2h-oGTT |
>6,5 % | Diabetes mellitus Typ 2 |
Ansonsten ist im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien ein 50-g-Glukose-Screeningtest (Vortest) zwischen der 25. und 28. Schwangerschaftswoche für alle Schwangeren vorgesehen. Für diesen Test muß man nicht nüchtern sein.
Auswertung des 50-g Glukose-Vortests | |
Normale Blutzuckerspiegel | |
Messzeitpunkt | Venöses Plasma |
Nach einer Stunde | <135 mg/dl |
Auswertung des 75-g-Glukosetoleranztests | ||
Gestationsdiabetes | Diabetes mellitus | |
Messzeitpunkt | Venöses Plasma | Venöses Plasma |
Nüchtern | ≥92 mg/dl | ≥126 mg/dl |
Nach einer Stunde | ≥180 mg/dl | |
Nach zwei Stunden | ≥153 mg/dl | ≥200 mg/dl |
Bei einem erhöhten Wert ist die Diagnose bereits möglich.
Nach bariatrischen Operationen soll wegen eines sogenannten Dumping-Effekts kein oraler Glukosetoleranztest durchgeführt werden, sondern die Bestimmung eines Nüchternblutzuckerwerts sowie des HbA1c erfolgen. Liegt ein Nüchternblutzuckerwert von <92 mg/dl sowie ein HbA1c <5,9 % vor, so liegt kein Gestationsdiabetes vor.
Ein Gestationsdiabetes wird diätetisch und durch körperliche Aktivität behandelt oder mittels Insulintherapie eingestellt. Für Feten mit einem Bauchumfang zwischen der 10. und 75. Perzentile gelten folgende Einstellungsziele:
Einstellungsziel | Kapilläres Vollblut |
Nüchtern | 60-95 |
Nach einer Stunde | <140 |
Nach zwei Stunden | <120 |
Vor dem Schlafen, ca. 22-23 Uhr | 90-120 |
Nachts, 2-4 Uhr | >60 |
Bauchumfang | Einstellungsziel nüchtern | Einstellungsziel nach einer Stunde |
<10. Perzentile | <105 mg/dl | <160 mg/dl |
>75. Perzentile | <85 mg/dl | <120 mg/dl |
Die Ernährungsumstellung hat sicherlich den größten Stellenwert in der Therapie. Neben einer eventuellen Einschränkung der Nahrungszufuhr kann insbesondere die Reduktion des Anteils der Kohlenhydrate die Blutzuckerwerte deutlich senken.
Berechnung des Energiebedarfs in der Schwangerschaft:
Man geht derzeit von einem Energiebedarf von 30 kcal/kg Körpersollgewicht aus. Adipöse Schwangere (siehe
BMI ) haben einen Bedarf von 25 kcal/kg Körpersollgewicht. Das Körpersollgewicht errechnet sich aus der Körpergröße in Zentimetern abzüglich 100. Da die Reduktion des Kohlenhydratanteils zu einer Verbesserung der Glukosewerte führt, setzt man heute einen Kohlenhydratanteil von 40 % an.
Ebenso entscheidend ist aber die Beschaffenheit der Kohlenhydrate. Hier sollten langsam verdauliche, die sogenannten komplexen Kohlenhydrate vorgezogen werden (Vollkornbrot statt Weißbrot oder Schwarzbrot, Vollkornreis statt weißem Reis). Kleine Mahlzeiten sind ebenso wichtig wie der Verzicht auf zuckerhaltige Getränke wie Fruchtsäfte oder Cola.
Nach der Schwangerschaft:
Bei erhöhten Blutzuckerwerten in der Schwangerschaft soll ein
erneuter Belastungstest 6-12 Wochen nach der Entbindung durchgeführt und mindestens
alle zwei Jahre wiederholt werden. Man muss davon ausgehen, dass 3 % aller Gestationsdiabetikerinnen pro Jahr kumulativ einen Diabetes entwickeln.
Von den gesetzlichen Krankenkassen werden diese Leistungen in der Schwangerschaft außerhalb des Screenings auch bei übermäßiger mütterlicher Gewichtszunahme, Nachweis von zunehmend Zucker im Urin, Verdacht auf erhöhtes kindliches Gewicht, Gestationsdiabetes in einer vorherigen Schwangerschaft und Bluthochdruck getragen.
Die Einnahme von Gestagenmonopräparaten während der Stillzeit vergrößert bei Frauen mit zurückliegendem Gestationsdiabetes das anschließende Risiko, einen Diabetes mellitus Typ 2 zu entwickeln, relevant, weshalb hiervon abgeraten wird.