Bluthochdruckerkrankungen in der Schwangerschaft werden als hypertensive Erkrankungen bezeichnet. Sie treten in ca. 6-8 % aller Schwangerschaften auf und sind mit einem Anteil von 20-25 % an der perinatalen Mortalität beteiligt. Dies ist die Anzahl der kindlichen Todesfälle in der Perinatalperiode, also dem Zeitraum zwischen der 28. Schwangerschaftswoche und dem 7. Tag nach der Geburt. Dazu stehen sie an vorderer Stelle der mütterlichen Todesursachen.
Die hypertensiven Erkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett stellen ein heterogenes Krankheitsbild dar. Sie werden wie folgt klassifiziert:
- fetale Wachstumsrestriktion (Wachstumsrückstand)
- Beteiligung der Leber
- Nierenfunktionsstörungen
- neurologische Probleme
- hämatologische Störungen
- Nierenfunktionseinschränkung (Kreatinin ≥1,1 mg/dl, Urinausscheidung unter 500 ml/24h)
- Leberbeteiligung (GPT, GOT und LDH über das Doppelte der Norm erhöht, Oberbauchbeschwerden)
- Hämatologische Störungen (Thrombozyten <100.000/µl, Hämolyse)
- Neurologische Symptome (schwere Kopfschmerzen, Sehstörungen)
- Fetale Wachstumsstörung
- Blutdruck ≥170/110 mmHg
- Proteinurie ≥5g/24 Stunden
- Lungenödem
Hinweis: HELLP-Syndrom und Eklampsie können auch ohne Bluthochdruck auftreten!
Bei den Präeklampsien wird zudem noch unterschieden in eine frühe Präeklampsie mit einem Auftreten vor der 35. Schwangerschaftswoche und einer späten Präeklampsie ab dieser Schwangerschaftswoche. Besonders bei früher Präeklampsie, sie macht etwa ein Viertel aller Präeklampsien aus, ist das Risiko lebensbedrohlicher Komplikationen für Mutter und Feten erhöht.
Blutdruckverhalten in der Schwangerschaft:
Normalerweise sinkt der Blutdruck ab der 7. SSW ab mit einem ausgeprägteren Abfall des diastolischen Drucks und meist unverändertem systolischen Druck, um nach der 28. SSW bis zum Ende der Schwangerschaft auf die Ausgangswerte wie vor der Schwangerschaft wieder anzusteigen. Typisch für ein normales Blutdruckverhalten ist eine sogenannte zirkadiane Rhythmik mit einem nächtlichen Blutdruckabfall von mindestens 10 %.
Im Zentrum einer krankhaften Entwicklung steht eine gestörte Umwandlung der Arterien der Gebärmutterschleimhaut im Rahmen der Einnistung des befruchteten Eis, auch gestörte Plazentation genannt. Diese formen sich nicht in erweiterte Niedrigdruckgefäße um. Es entsteht stattdessen eine Minderdurchblutung des Mutterkuchens. Dies setzt eine Kaskade in Gang, welche zu einer Erhöhung des Gefäßwiderstandes im mütterlichen Kreislauf und damit auch des Blutdrucks führt.
Krankhafte Veränderungen bei schwerer Präeklampsie:
Die Vorgänge um die gestörte Plazentation führen zu allgemeinen Gefäßkrämpfen und somit einer Schädigung der Gefäße. Blutbestandteile können austreten, es entstehen Nekrosen. Das Gerinnungssystem wird aktiviert und im Kapillarsystem bilden sich Thromben, was Mikrozirkulationsstörungen zur Folge hat. Das Blutvolumen ist vermindert. Durchblutung sowie Filtrationsleistung der Nieren sind vermindert. Leitsymptom ist eine geringere Ausscheidung von Urin. Aufgrund ihrer eingeschränkten Funktion kann die Niere kleine Proteine nicht mehr rückresorbieren, sie werden ausgeschieden, es resultiert eine sogenannte Proteinurie. Die eingeschränkte Durchblutung der Leber mit Nekrosenbildung kann zu einem Anstieg der sogenannten Transaminasen führen, es können sich kleine Hämatome unter der Leberkapsel entwickeln mit Oberbauchbeschwerden in der Folge.
Klinisches Bild:
Deutlich erhöhte Blutdruckwerte können zu Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit führen.
Lichtscheuheit, Oberbauch- und zum Gehirn gehörende Beschwerden sowie eine abnehmende Ausscheidung zusammen mit starken Wassereinlagerungen sind mögliche Symptome der schweren Präeklampsie oder des HELLP-Syndroms.
Gefäßkrämpfe im Gehirn können einen eklamptischen Anfall (Krampfanfall) auslösen, welcher ein sehr hohes Risiko für schwerste Komplikationen birgt wie eine vorzeitige Lösung des Mutterkuchens oder eine ausgeprägte Gerinnungsstörung. Vorzeichen können Augenflimmern, Lichtscheuheit und gesteigerte Reflexbereitschaft sein.
Die Komplikationen dieser Erkrankungen, zu denen auch Linksherzversagen, Niereninsuffizienz, Lebernekrosen, Lähmungen und Herzinfarkt zählen, können letztendlich zum Tod von Mutter und/oder Kind führen.
Prädiktion (Voraussagemöglichkeit):
Bei einem im zweiten Schwangerschaftsdrittel diagnostizierten deutlich reduzierten diastolischen Fluss in den Gebärmutterarterien ist im späteren Schwangerschaftsverlauf in mehr als 60 % der Fälle mit einer Präeklampsie und/oder Wachstumsrückstand des Feten zu rechnen.
Referenzwerte des Pulsatilityindex der Aa. uterinae:
Weitere Risikofaktoren (Liste nicht vollständig) sind:
Aufgrund der großen Bedeutung, Risikopatientinnen frühzeitig zu entdecken, wurde ein
Präeklampsie-Screening entwickelt.
Prävention:
Die Einnahme von
150 mg Azetylsalizylsäure (ASS) mit Einnahmebeginn ab der Frühschwangerschaft, zumindest aber vor der 17. SSW, reduziert die Präeklampsierate deutlich. ASS wird vor der Geburt, in der Regel nach vollendeter 36. SSW, wieder abgesetzt, um unter der Geburt Gerinnungsstörungen zu vermeiden. Die Einnahme wird insbesondere bei
Zustand nach Präeklampsie und bekanntem Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom, Zustand nach schwerer Präeklampsie/HELLP-Syndrom und bei Zustand nach schwerer Wachstumsrestriktion empfohlen.
Symptomatik der hypertensiven Erkrankungen:
Indikationen zur Vorstellung in der Klinik:
Frühdetektion:
Die Kombination aus Vorgeschichte, Blutdruckmessung, Doppleruntersuchung der mütterlichen Gebärmutterarterien und Messung der zirkulierenden Serumkonzentrationen von PAPP-A und PlGF im Rahmen eines
Präeklampsie-Screenings erzielt eine Detektion der frühen Präeklampsie von ca. 75 % bei einer Falsch-Positiv-Rate von 10 %.
Diagnostik:
Bei der ersten Untersuchung in der Schwangerschaft sollte
an beiden Armen gemessen werden, bei nur geringer Differenz danach am rechten Arm gemessen werden. Es sollte eine an die Oberarmweite adaptierte Manschette verwendet werden. Bei grenzwertigen Blutdruckwerten empfiehlt sich eine häusliche Blutdruckselbstmessung morgens, mittags und vor dem Schlafengehen und die Führung eines Protokolls. Bei dringendem Verdacht auf einen Hochdruck ist nur durch eine
24-Stunden-Blutdruckmessung eine Verminderung oder ein Ausbleiben des nächtlichen Blutdruckabfalls mit Aufhebung/Umkehr der Tag-Nacht-Rhythmik und nächtlichen Blutdruckspitzen zuverlässig zu diagnostizieren. Bei allen Schwangeren mit einer Gestationshypertonie sollte eine quantitative
24-Stunden-Proteinmessung im Urin erfolgen.
Therapie:
Die ambulante Betreuung von Patientinnen mit hypertensiver Erkrankung sollte in wöchentlichen Abständen erfolgen. Jede Proteinurie im Urin-Schnelltest sollte durch eine quantitative Bestimmung der Eiweißausscheidung im 24-Stunden-Urin abgeklärt werden. Eine medikamentöse blutdrucksenkende (antihypertensive)
Therapie wird erst bei anhaltenden Blutdruckwerten von ≥140 mmHg systolisch und/oder ≥90 mmHg diastolisch begonnen. Frühere antihypertensive Maßnahmen sind nur von geringem mütterlichen Nutzen, sind aber mit möglichen nachteiligen Folgen für den Feten (Wachstumsrückstand) behaftet.
Für die Langzeitbehandlung bei Neueinstellung ist α-Methyldopa das Mittel der ersten Wahl, initial 2x 125 mg/d bis maximal 4x 500 mg/d. Falls eine Patientin mit chronischer Hypertonie vor der Schwangerschaft auf Metoprolol (2x 50 mg/d bis maximal 2x 100 mg/d nach dem Essen) eingestellt war, kann die Medikation fortgeführt werden, bei Bedarf zusätzlich α-Methyldopa gegeben werden. Anders als bei der chronischen Hypertonie von Nicht-Schwangeren sollte man bei mangelnder Blutdrucksenkung eher die Dosis des Primärpräparates erhöhen als auf eine Kombinationstherapie umstellen. Zu beachten ist bei Einsatz von Metoprolol ein erhöhtes Risiko für mangelentwickelte Feten (SGA) und es ist kontraindiziert bei schlecht eingestelltem Asthma bronchiale. Metoprolol erhöht das Risiko neonataler Bradykardien und Hypoglykämien
Nifedipin ist in der Vermeidung von schweren Hypertonien α-Methyldopa überlegen. Es zeigt im Vergleich zu α-Methyldopa eine höhere Effektivität mit kürzerem Zeitintervall sowie geringerer Anzahl an Dosen um den Zielblutdruck bei gleicher fetaler und maternaler Sicherheit zu erreichen. Aus diesem Grund ist ein off-label use gerechtfertigt (20 – 60 mg retard oral bis maximal 120 mg/d).
Das fetale Wachstum sollte sonographisch bei allen hypertensiven Schwangerschaftserkrankungen in zwei- bis vierwöchentlichen Abständen in der zweiten Zyklushälfte kontrolliert werden, um eine Mangelentwicklung rechtzeitig zu erkennen. Es sollte ein
systolischer Zielblutdruck ≤135 mmHg und ein diastolischer Zielblutdruck von ≤85 mmHg angestrebt werden.
Zur Therapie einer Eklampsie soll Magnesiumsulfat (MgSO4) i.v. mit 4-6g über 20 Minuten gefolgt von 1-2g/h als Mittel der Wahl verwendet werden.
Management ab 37+0 SSW:
Gestationshypertonie: Frauen mit einer Gestationshypertonie kann alternativ zur Schwangerschaftsbeendigung eine Prolongation nach 37+0 SSW angeboten werden, wenn der Blutdruck kontrolliert, das fetale Wohlbefinden sichergestellt und eine Präeklampsie ausgeschlossen sind. Von einer Terminüberschreitung sollte abgeraten werden.
Chronischen Hypertonie: Frauen mit einer chronischen Hypertonie kann alternativ zur Schwangerschaftsbeendigung eine Prolongation nach 38+0 SSW angeboten werden, wenn der Blutdruck kontrolliert, das fetale Wohlbefinden sichergestellt und eine Präeklampsie ausgeschlossen sind. Von einer Terminüberschreitung sollte abgeraten werden.
Bei Präeklampsie ist eine Prolongation über 37+0 SSW hinaus nicht sinnvoll.
Nachsorge nach dem Wochenbett:
Jede Patientin mit einer hypertensiven Schwangerschaftserkrankung sollte sich spätestens nach dem Wochenbett in die Behandlung eines Internisten begeben. Als mögliche Antihypertensiva im Wochenbett gelten:
Nach Präeklampsie können drei Monate nach der Geburt zur
Überprüfung einer Nierenschädigung Serumkreatinin und Eiweißausscheidung einschließlich Mikroalbuminurie kontrolliert werden.
Nach schwerer Präeklampsie/HELLP-Syndrom insbesondere bei einem Auftreten vor der 35. SSW kann eine
Thrombophilie-Diagnostik einschließlich der Antiphospholipid-Antikörper erwogen werden.
Da das Lebenszeitrisiko für die Entwicklung einer chronischen Hypertonie deutlich erhöht ist, sollte über entsprechende Maßnahmen zur Früherkennung (jährliches 24-Stunden Blutdruckprofil, Serum-Lipid-Konzentrationen, Diabetes-Screening) aufgeklärt werden. Nach Präeklampsie besteht beispielsweise ein Risiko von über 90 % für die Entstehung einer arteriellen Hypertonie in der Menopause.
Wiederholungsrisiko:
Nach Präeklampsien liegt das Wiederholungsrisiko zwischen 13-39 % in Abhängigkeit von dem Schweregrad der Präeklampsie sowie dem Zeitpunkt des Auftretens. Nach einem HELLP-Syndrom liegt das Risiko für erneute hypertensive Schwangerschaftserkrankungen bei 27-48 %, speziell für eine Präeklampsie bei 19-22 % und speziell für ein erneutes HELLP-Syndrom bei 12,8 %.