Harninkontinenz bedeutet unfreiwilligen Harnverlust, der objektiv nachweisbar ist. Der unfreiwillige Harnverlust kann viele Ursachen haben und tritt mit zunehmenden Alter häufiger auf, im hohen Alter mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu 42 %.
Eine Form der Inkontinenz ist die Belastungsharninkontinenz. Es kommt zum unwillkürlichen Abgang von Urin als Ereignis einer plötzlichen Drucksteigerung im Bauchraum durch körperliche Anstrengung bei gleichzeitiger Schwäche des Verschlussmechanismus der Harnröhre, ohne dass Harndrang verspürt wird.
Ein zweite Form ist die Drangharninkontinenz
als Urinverlust bei nicht unterdrückbarem Harndrang. Charakteristischerweise ist die Füllphase durch ein zu frühes Einsetzen des Harndrangs gestört, man spricht heute von einer überaktiven Blase (OAB: over active bladder). Ein anderer alter Ausdruck lautet Reizblase.
Die sensorische Dranginkontinenz beruht auf verstärkten Nervenimpulsen aus der Blasenwand, die Blasenkapazität ist vermindert. Die motorische Dranginkontinenz entsteht durch autonome Kontraktionen des Harnblasenmuskelsystems (sogenannte Detrusorkontraktionen).
Eine dritte Form ist die Reflexharninkontinenz. Ursächlich ist eine gestörte Übertragung der Nervenimpulse aus dem Gehirn oder Rückenmark zur Muskulatur der Harnblase. In der Folge kontrahiert sich die Blasenmuskulatur ungehemmt. Ursachen können beispielsweise eine Querschnittslähmung oder eine Hirnleistungsstörung im Alter sein.
Die Überlaufharninkontinenz
ist eine Form der Blasenschwäche mit fortdauerndem Abgang kleinster Harnmengen. Ursächlich können beispielsweise Abflussbehinderungen im Bereich des Blasenhalses oder der Harnröhre sein, Inkontinenzoperationen, radikale Operationen bei Gebärmutterhalskrebs oder die Einnahme von Medikamenten.
Daneben gibt es weitere seltenere Formen der Harninkontinenz.
Basistherapie:Alle Inkontinenzformen
sind in der Regel mit einer Atrophie der Scheidenhaut verbunden. Eine ausreichende Östrogenisierung der Scheidenhaut sollte vorliegen, der Reifegrad des Epithels nach Schmitt zumindest 3 betragen.
Lokal applizierte Östrogene
können dies bewirken. Hinweis: Konjugierte Östrogene führen nur zu einer Ausreifung der mittleren Intermediärschicht des Scheidenepithels, was für urogynäkologische Belange nicht ausreichend ist.
Physiotherapie
hat in Kombination mit medikamentöser Therapie
sowohl bei Belastungsinkontinenz als auch überaktiver Blase
einen synergistischen Effekt, falls die Frau den Beckenboden willkürlich kontrahieren kann, etwa jede dritte Frau kann dies nicht. (Liste subspezialisierter Krankengymnastikinnen einsehbar unter
www.AG-GGUP.de). Die Physiotherapie kann durch den Einsatz von Vaginalkonen (siehe unten) unterstützt werden.
Bei einer überaktiven Blase
ergibt sich ein erster Therapieansatz für ein
Miktionstraining. Das Miktionstraining zielt auf die Normalisierung der Miktionsfrequenz. Es soll also die aktive Verlängerung von zu kurzen, gegebenenfalls auch die Verkürzung von zu langen Miktionsintervallen durch Festlegung der Miktionszeiten unabhängig vom Harndrang nach Durchführung eines Miktionsprotokolls (Miktion nach der Uhr) erreichen. Das angestrebte Ergebnis ist das Erreichen eines altersentsprechenden oder zumindest angepassten Miktionsvolumens und die Verhinderung der Inkontinenz. Je nach Erfolg (Miktionsprotokoll!) werden die Miktionszeiten stufenweise angepasst (± 30 min).
Bei Übergewicht vermindert eine
Reduktion des Körpergewichts
um 5-10 % die Anzahl von Episoden einer
Belastungsinkontinenz
um 60 %. Eine Änderung des Trinkverhaltens (vor allem Verzicht auf blasenreizende Getränke wie Kaffee, Tee, Alkohol, Kohlensäure sowie eine gleichmäßige Verteilung der Trinkmengen über den Tag) und Nikotinkarenz gehören ebenso zu den Basismaßnahmen bei Belastungsinkontinenz.
Miktionstraining bei sehr starkem Harndrang (mit oder ohne Harnverlust) auf dem Weg zur Toilette:Ziel des Trainings ist, auf dem Weg zur Toilette weniger Harndrang und dadurch keinen Harnverlust zu haben. Wenn Sie Harndrang verspüren, laufen Sie nicht sofort zur Toilette, sondern
- bleiben Sie sitzen oder stehen,
- verdrängen Sie gedanklich den Harndrang (z. B. Autos zählen, an den letzten Urlaub denken),
- atmen Sie ruhig durch,
- spannen Sie den Beckenboden mehrmals hintereinander kurz an.
Wenn der Harndrang nachgelassen hat, gehen Sie in Ruhe zur Toilette, um die Blase zu entleeren.
Miktionstraining bei kleinen Harnmengen oder Reizblase:Ziel des Trainings ist, eine größere Blasenkapazität zu erreichen. Wenn Sie Harndrang verspüren, laufen Sie nicht sofort zur Toilette, sondern
- bleiben Sie sitzen oder stehen,
- verdrängen Sie gedanklich den Harndrang (z. B. Autos zählen, an den letzten Urlaub denken),
- atmen Sie ruhig durch,
- spannen Sie den Beckenboden mehrmals hintereinander kurz an, bis Sie keinen Harndrang mehr verspüren.
Entleeren Sie die Blase erst, wenn wieder Harndrang auftritt.
Symptomorientierte Therapie bei Urinverlust bei Belastung - ohne Harndrang:
Hier liegt eine Belastungsinkontinenz vor. Das Medikament der Wahl ist Duloxetin
(Yentreve®). Es wirkt stärkend auf den Harnblasenverschluss, den sogenannten Urethraltonus. Duloxetin sollte einschleichend dosiert werden, eine Woche 20 mg/Tag morgens, eine Woche lang je 20 mg morgens und abends und schließlich eine Dauertherapie mit 2x 40 mg täglich. Zeigt sich nach 2 Wochen mit einer Tagesdosis von 80 mg keine deutliche Wirkung, kann die Therapie ausschleichend beendet werden, da es sehr schnell wirkt, wenn es anschlägt. Die häufigste Nebenwirkung, Übelkeit, verschwindet oft bei weiterer Einnahme. Weitere Nebenwirkungen können Verstopfung, Mundtrockenheit, Durst, Schläfrigkeit oder Schlaflosigkeit sein. Die Patientin sollte ruhig vorübergehend die Dosis reduzieren oder sogar aussetzen. Das Medikament sollte zu Beginn immer in Kombination mit Physiotherapie eingesetzt werden, da dann ein besserer Effekt bei weniger Nebenwirkungen zu erwarten ist. Eine Reduktion der Inkontinenzepisoden ist in ca. 50 % der Fälle, eine Heilung bei etwa 20 % der auf Duloxetin ansprechenden Patientinnen zu erwarten. Eine Pessartherapie
mit Urethrapessaren ist bei konservativer Therapie der Belastungsinkontinenz immer angezeigt. Sie heben die Harnröhre und den Blasenhals an und verhindern so die Öffnung der Harnröhre bei einem Druckanstieg im Bauchraum. Solche Pessare werden von den Frauen selbstständig eingelegt.
Ist die Inkontinenzproblematik auf bestimmte Situationen und Tätigkeiten beschränkt (z. B. Joggen), kann die Nutzung von Inkontinenztampons, die ebenfalls die Harnröhre und den Blasenhals anheben, eine sinnvolle Alternative sein.
Symptomorientierte Therapie bei Urinverlust bei Belastung - mit Harndrang:
Tritt der Urinverlust nur bei körperlicher Belastung auf, deutet dies auf Belastungsinkontinenz mit Drangkomponente hin und sollte wie eine Belastungsinkontinenz therapiert werden. Liegt eine Senkung der vorderen Scheidenwand vor, kann dies eine Instabilität des Harnblasenmuskelsystems hervorrufen. Die betroffenen Patientinnen zeigen aber die gleiche Symptomatik wie bei einer Belastungsinkontinenz, wo der Harnröhrenverschluss zu schwach ist. Eine alleinige Pessartherapie
kann hier schon die Methode der Wahl sein.
Symptomorientierte Therapie bei Urinverlust in Ruhe - mit Harndrang:
Tritt der Urinverlust bei körperlicher Belastung und in Ruhe (im Sitzen/Liegen) auf, spricht dies für eine Dranginkontinenz, ausgelöst durch eine Instabilität des Harnblasenmuskelsystems (Detrusorinstabilität). Medikamente der Wahl sind Anticholinergika.
Sie dämpfen die Kontraktionen der Harnblasenmuskulatur, indem sie sogenannte muskarinerge Rezeptoren blockieren. Trospiumchlorid (Spasmex®) schränkt im Vergleich zu einigen anderen Anticholinergika weniger die mentalen Fähigkeiten von Seniorinnen ein, Trospiumchlorid hat außerdem den Vorteil, dass es als einzige Substanz nicht metabolisiert, sondern unverändert renal ausgeschieden wird. Dadurch ist sein Interaktionspotenzial auch bei Polymedikation klein. Es wird mit 10-15 mg dreimal täglich vor einer Mahlzeit auf nüchternen Magen dosiert.
Anticholinergika reduzieren die Drang- und Inkontinenzepisoden um 60 bis 70 Prozent. Bei der Evaluation des Behandlungserfolges ist zu berücksichtigen, dass zu einem Wirkeintritt 2–8 Wochen benötigt werden. Die Wirkung sollte daher erst nach dem jeweiligen in der Fachinformation empfohlenen Zeitraum überprüft werden. Wenn doch: Bleibt die Wirksamkeit einer anticholinergen Therapie tatsächlich aus, empfehlen die europäischen Leitlinien zunächst eine Erhöhung der Dosis – wobei dies auch mit einem höheren Risiko für Nebenwirkungen einhergeht.
Die häufigste und typische Nebenwirkung aller Anticholinergika stellt Mundtrockenheit
dar, daneben werden auch Übelkeit, Müdigkeit, schneller Herzschlag, Sehstörungen, Merkfähigkeitsstörungen und Verstopfung
häufiger beschrieben. Gegen die Mundtrockenheit helfen Kaugummis und Bonbons mit Xylit, einem nicht kariogenen Zuckeraustauschstoff mit Feuchthalteeffekt. Da der verminderte Speichelfluss zudem das Risiko für Karieserkrankungen erhöht, kann eine regelmäßige Zahnpflege mit Fluorid empfohlen werden. Kontraindikationen für die Anwendung von Anticholinergika sind ein Engwinkelglaukom, Störungen der Motilität des Magen-Darm-Trakts, schwere Leberfunktionsstörungen und Myasthenia gravis. Versagt ein Anticholinergikum, kann es durchaus sein, dass ein anderes sehr gut wirkt.
Werden die anticholinergen Nebenwirkungen nicht toleriert oder wirken die Anticholinergika nicht ausreichend, gibt es mit dem Beta3-Adrenorezeptoragonisten Mirabegron
(Betmiga®) noch eine medikamentöse Alternative. Mirabegron wird in der Regel einmal täglich als Tablette mit 50 Milligramm eingenommen. Die Substanz bewirkt eine Entspannung der glatten Blasenmuskulatur und führt beim Wasserlassen zu einer vollständigeren Blasenentleerung. Die Effekte treten innerhalb von vier Wochen nach Einnahmebeginn auf. Als häufigste Nebenwirkungen werden Harnwegsinfektionen und eine Tachykardie (beschleunigter Herzschlag) beschrieben. Kontraindikation ist ein schlecht eingestellter Bluthochdruck.
Da eine neurogene Blase
die gleichen Beschwerden auslösen kann wie eine Detrusorinstabilität, sollte vor einer Therapie mit Anticholinergika eine Restharnbestimmung
erfolgen, da ansonsten die Gefahr des Harnverhaltes besteht. Der Restharn ist bei der neurogenen Blase erhöht.
Nach frustraner Therapie über 6-8 Wochen sollte eine weiterführende Abklärung erfolgen.
Symptomorientierte Therapie bei Urinverlust bei erhöhtem Restharn:
Eine erhöhte Restharnmenge kann mechanisch durch einen Vorfall des inneren Genitale oder funktionell durch eine Schwäche des Harnblasenmuskelsystems bedingt sein. Seltener kann auch mechanisch nach einer Harninkontinenzoperation die Restharnmenge erhöht sein. Die häufigste Ursache für eine funktionelle Schwäche ist ein Diabetes mellitus. Eine Überweisung in die Urologie
ist unumgänglich. Zeigt sich ein Vorfall des Genitale, besteht die Therapie in einer lokalen Östrogenisierung der Scheidenhaut, Pessareinlage und Kontrolle des Restharns.
Symptomorientierte Therapie bei Urinverlust im Alter - Reflexinkontinenz:
Hier können Physiotherapie, eine Versorgung mit Inkontinenzprodukten, die lokale Anwendung von Östrogenen und/oder rückfettende Hautpflegeprodukte wie Melkfett oder Deumavan hilfreich sein. Symptomatisch kann bei vermehrten Harndrang ein Anticholinergikum zum Einsatz kommen.