Zwillingsschwangerschaften stellen eine große Herausforderung für die betreuenden Pränatalmediziner und Geburtshelfer dar. Sie sind gegenüber früher viel häufiger geworden. Mittlerweile sind 3 % aller Geburten Mehrlingsgeburten. Der Hauptgrund der Zunahme liegt in der Verbesserung der technischen Möglichkeiten im Rahmen der Sterilitätstherapie. Die Mehrlingsschwangerschaft ist eine Risikoschwangerschaft. Sie hat ein 2,5-fach erhöhtes Risiko für Totgeburten, ein 7-fach erhöhtes Frühgeburtlichkeitsrisiko und ein 4-fach erhöhtes Risiko für neurologische Defizite der Neugeborenen. Sie gilt auch als Risikofaktor für elterliche Belastungsreaktionen. Die Häufigkeit von Depressionen bei Müttern von Mehrlingen ist signifikant erhöht.
Zweieiige (dizygote) Zwillingsschwangerschaften entstehen durch die Befruchtung von zwei verschiedenen Eizellen. Sie machen 70 % der Zwillingsschwangerschaften aus. Alle zweieiigen Zwillingsschwangerschaften sind
dichorial und diamnial . Das heißt, dass jeder Embryo seine eigene Plazenta (Mutterkuchen) und eine eigene Fruchthülle besitzt. Die entstehenden Kinder haben kein identisches Erbgut. Ihre Ähnlichkeit entspricht der von Geschwistern. Sie können gleichgeschlechtlich oder andersgeschlechtlich sein.
Die Häufigkeit von
eineiigen (monozygoten) Zwillingen ist auf der ganzen Welt mit 3,5 pro tausend Schwangerschaften ungefähr konstant. Eineiige Zwillinge entstehen durch eine Teilung eines Embryos innerhalb von vierzehn Tagen nach der Befruchtung. Beide Hälften tragen das gleiche Erbgut und haben daher das gleiche Geschlecht. Der Zeitpunkt der Teilung bestimmt die Chorion- und Amnionverhältnisse. In ca. 25 % der Fälle findet die Teilung bis zu 5 Tage nach der Befruchtung statt. Aus dieser frühen Teilung gehen
dichoriale, diamniale Zwillinge hervor. In ca. 75 % der Fälle findet die Teilung fünf bis sieben Tage nach der Befruchtung statt. Die resultierenden Embryonen sind
monochorial und diamnial. In seltenen Fällen (1 %) erfolgt die Teilung erst acht Tage nach der Befruchtung, die entstehenden Embryonen sind
monochorial und monoamnial. Einen Sonderfall der eineiigen Zwillinge stellen die siamesischen Zwillinge dar. Sie treten mit einer Häufigkeit von eins zu 400 eineiigen Zwillingspaaren auf. Siamesische Zwillinge sind monochoriale und monoamniale Zwillinge. Sie sind an unterschiedlichen Stellen ihres Körpers miteinander verbunden. Siamesische Zwillinge entstehen durch fehlerhafte und späte Teilung (nach dem 14. Tag postkonzeptionell) einer befruchteten Eizelle.
Monochorialität ist ein zusätzlicher Risikofaktor bei einer Mehrlingsschwangerschaft. Die Mortalität ist etwa um das 3-fache erhöht.
Die wichtigste Komplikation einer monochorialen Mehrlingsschwangerschaft ist das fetofetale Transfusionssyndrom (abgekürzt FFTS) mit einer Häufigkeit von knapp 20 %. Es ist eine in der Regel sehr schwerwiegende Durchblutungs- und Ernährungsstörung von Zwillingen im Mutterleib. Grundlage für dieses Syndrom sind Verbindungen der kindlichen Blutkreisläufe über Gefäßverbindungen auf der Plazenta, durch die es zu einem Ungleichgewicht des Blutaustausches zwischen den ungeborenen Kindern kommt. Sonographisch finden sich etwa ab der 16. Schwangerschaftswoche Zeichen einer Wachstumsdiskrepanz der beiden Feten sowie eine Ungleichverteilung beider Fruchtwassermengen. Man unterscheidet einen Spender, der aufgrund einer geringen Fruchtwassermenge eine wie ein Hemd eng anliegende Amnionhaut aufweist, von einem Empfänger, der größer ist, eine volle Harnblase, ein großes Herz und eine große Fruchtwassermenge hat. Frühzeitig zeigen sich Auffälligkeiten bei der Dopplersonographie. Bei Fortschreiten des Syndroms entwickeln sich bald ein Perikarderguss, Bauchwasser und schließlich ein generalisierter Hydrops. Die kausale Therapie besteht in der Trennung der beiden Plazenten mittels Laserkoagulation. Alternativ kann ab der 27. Schwangerschaftswoche die frühzeitige Entbindung infrage kommen.
Stadieneinteilung des FFTS nach Quintero:
Stadium: | Diagnosekriterien: |
I | Es liegt ein ausgeprägtes Missverhältnis der Fruchtwassermenge zwischen den Zwillingen vor. Der größte messbare Fruchtwasserpool beträgt im Ultraschall beim Spenderzwilling <2 cm, beim Empfängerzwilling >8 cm. |
II | Zusätzlich zu Stadium I ist die Harnblase des Spenderzwillings im Ultraschall nicht darstellbar. |
III | Zusätzlich zu Stadium II kommt es zu Auffälligkeiten im Dopplerultraschall der fetalen Gefäße. (fehlender oder negativer enddiastolischer Blutfluss in der A. umbilicalis, negative A-Welle im Ductus venosus) |
IV | Zusätzlich zu Stadium III ist ein Hydrops fetalis als Zeichen einer Dekompensation des Herzens im Ultraschall feststellbar. |
V | Intrauteriner Tod eines oder beider Zwillinge. |
Mütterliche Risikoerhöhung bei Zwillingsschwangerschaften | |
Bluthochdruck in der Schwangerschaft | ~ 2,5-fach |
Präeklampsie | ~ 2,5-fach |
Nachblutung nach Geburt | ~ 2-fach |
Notwendigkeit eines Kaiserschnitts | ~ 3-fach |
Intensivmedizinische Betreuung | ~ 15-fach |
Postnatale Depression | ~ 3-fach |
Fetale Risikoerhöhung bei Zwillingsschwangerschaften | |
Frühgeburtlichkeit | ~ 10-fach |
Niedriges Geburtsgewicht | ~ 7-10-fach |
Frühkindliche Hirnschädigung | ~ 3-10-fach |
Atemnotsyndrom des Neugeborenen | ~ 5-7-fach |
Blutvergiftung (Sepsis) | ~ 3-fach |
Bleibende, schwere Behinderung | ~ 1,5-2-fach |