Thrombozyten werden wegen ihrer Form auch Blutplättchen genannt und sind die kleinsten Zellen des Bluts. Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Blutgerinnung. Ein Mangel an Thrombozyten, die Thrombozytopenie ist mit ca. 7 % Betroffenen nach der Anämie (ca. 19 %) die zweithäufigste pathologische Blutbildveränderung in der Schwangerschaft. Zu unterscheiden sind schwangerschaftsspezifische (zum Beispiel Gestationsthrombozytopenie), schwangerschaftsassoziierte, aber nicht spezifische (zum Beispiel thrombotisch-thrombozytopenische Purpura) und von der Schwangerschaft unabhängige (zum Beispiel Autoimmunthrombozytopenie) Ursachen.
Diagnostischer Algorithmus:
Wegweisend sind Familien-, Eigen- und Medikamentenanamnese sowie Ernährungsgewohnheiten, die klinische Untersuchung (zum Beispiel Hämatome, Petechien), laborchemische Basisuntersuchungen sowie eine rationale Stufendiagnostik, die sich nach der relativen Inzidenz der Ursachen der Thrombozytopenie in der Schwangerschaft und der vorliegenden Schwangerschaftspathologie zu richten hat.
Laborchemische Diagnostik:
Da die maschinelle Thrombozytenzählung falschniedrige Ergebnisse zeigen kann, sollte zunächst eine Pseudothrombozytopenie (<1 % der EDTA-Blutbildanalysen) durch eine parallele Thrombozytenzählung im EDTA- und Citrat-antikoagulierten Blut ausgeschlossen werden. Bei der Pseudothrombozytopenie handelt es sich um ein reines Laborphänomen.
Gestationsthrombozytopenie:
Die Gestationsthrombozytopenie betrifft 5 % aller Schwangeren und ist mit einem Anteil von 75 % die häufigste Ursache der Thrombozytopenie in der Schwangerschaft. Sie wird verursacht durch schwangerschaftsinduzierte Hämodilution und einen erhöhten Thrombozytenumsatz. Bei 75 % der Schwangeren liegt die Thrombozytenzahl über 130.000-150.000/µl, nur in 10 % der Fälle liegt sie unter 100.000/µl,
bleibt aber über 80.000/µl. Die Gestationsthrombozytopenie verläuft asymptomatisch, ohne erhöhtes Blutungsrisiko für Mutter und Kind. Im Gegensatz zur Autoimmunthrombozytopenie ist die Thrombozytenzahl beim Neugeborenen normal. Die Gestationsthrombozytopenie beeinflusst den Entbindungsmodus nicht. Die Thrombozytenzahl normalisiert sich meist innerhalb von zwei Wochen post partum. Eine
Therapie ist nicht erforderlich, ausreichend sind Kontrollen der Thrombozytenzahl im Rahmen der routinemäßigen Schwangerenvorsorge.
Präeklampsie/ HELLP-Syndrom:
Präeklampsie
(2-3 % aller Schwangerschaften) und
HELLP-Syndrom
(0,5-0,9 % aller Schwangerschaften) machen 15-22 % der Thrombozytopenien in der Schwangerschaft aus. In Abhängigkeit vom Schweregrad weisen 15-50 % der Schwangeren mit Präeklampsie eine Thrombozytopenie auf.
Immunthrombozytopenie (IPT, Morbus Werlhof):
Die wichtigste Differenzialdiagnose der Gestationsthrombozytopenie ist die Autoimmunthrombozytopenie (Prävalenz 1:1.000-10.000 aller Schwangerschaften), die 1-4 % der Thrombozytopenien in der Schwangerschaft ausmacht. Die primäre ITP ist definiert als isolierte Thrombozytopenie <100.000/µl ohne klinisch apparente Begleiterkrankungen oder Ursachen, bedingt durch die Bildung spezifischer Antikörper der IgG-Klasse gegen Glykoproteinkomplexe der Thrombozytenmembran mit konsekutiver Sequestrierung zirkulierender Thrombozyten in der Milz. Eine Thrombozytenzahl <100.000/µl im 1. Schwangerschaftsdrittel mit progredienter Thrombozytenverminderung im Schwangerschaftsverlauf gilt als Hinweis auf eine ITP. Eine schwangere Patientin mit ITP sollte vom Frauenarzt und Hämatologen betreut werden. Ein Blutungsrisiko besteht in der Regel nur bei schwerer Thrombozytopenie unter 30.000/µl. Eine Therapie kann beispielsweise mit Prednisolon erfolgen. In zwei Drittel der Fälle ist die Diagnose aufgrund der typischen Blutungsanamnese vor der Schwangerschaft bekannt, in einem Drittel wird sie aber erst in der Schwangerschaft oder vor der Geburt gestellt. Die Schwangeren sind meist asymptomatisch, bedürfen häufig keiner Therapie und weisen einen unkomplizierten Schwangerschaftsverlauf auf. Deshalb kann die Abgrenzung zur Gestationsthrombozytopenie schwierig sein und die Diagnose dann erst retrospektiv aus dem Thrombozytenverlauf post partum gestellt werden. Für eine Sectio werden Thrombozyten über 50.000/µl als ausreichend angesehen, für eine Periduralanästhesie Werte von 80.000/µl. Bei der Immunthrombozytopenie kann es infolge diaplazentaren Übertritts von Thrombozyten-Antikörpern auch zu einer Thrombozytopenie bei den Feten bzw. Neugeborenen kommen. Weder der Nachweis von Thrombozytenantikörpern noch die mütterliche Thrombozytenzahl geben einen Himweis auf das Ausmaß einer Thrombozytopenie bei Neugeborenen. Eine Kopfschwartenelektrode sollte aufgrund des kindlichen Blutungsrisikos nicht angelegt werden, möglichst von einer vaginal-operativen Entbindung abgesehen werden. Nach der Geburt sollte umgehend eine Blutabnahme aus der Nabelschnur zur Bestimmung der kindlichen Thrombozytenzahl sowie ein Ultraschall des kindlichen Kopfes erfolgen. Es komt zum Glück nur sehr selten zu schweren intrakraniellen Blutungen unter der Geburt, vorgeburtliche Blutungen gibt es so gut wie nie.
Thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP, Morbus Moschcowitz):
Die seltene TTP kann spontan ohne erkennbare Ursache auftreten, auch im Verlauf einer Schwangerschaft und dann meist im zweiten oder dritten Drittel. Auslöser sind ein Endothelschädigung und Antikörper. Es kommt gleichzeitig zu einer Thrombozytenaktivierung mit Gefäßverschlüssen (Thrombosen, Infarkte, zerebrale Durchblutungsstörungen) und zu thrombozytopenen Blutungen. Typisch für eine TTP sind neben der Thrombozytopenie und der Hämolyse der Nachweis von Fragmentozyten im Blutausstrich. Die TTP ist ein medizinischer Notfall.
Heparin-induzierte Thrombozytopenie Typ II (HIT Typ II):
Eine HIT Typ II tritt unter Gabe von Heparin auf. Zum Glück bekommen nur wenige Schwangere Heparin, zum Beispiel bei mechanischem Klappenersatz, Thrombose oder hohem Thromboserisiko.
Neonatale/fetale Alloimmunthrombozytopenie (NAIT/FAIT):
Hierbei handelt es sich um die diaplazentare Übertragung von während einer Schwangerschaft von der Mutter erworbenen Antikörpern gegen fetale Thrombozyten. Die (NAIT/FAIT) tritt mit einer Inzidenz von 5 :10.000 Schwangeren auf. Das Risiko für schwere intrakranielle Blutungen des Kindes liegt bei 15-20 %, hiervon erfolgen bereits bis zu 50 % der Blutungen intrauterin. Die Schwangere selbst weist in der Regel keine Thrombozytopenie auf. Der Schweregrad der kindlichen Alloimmunthrombozytopenie erhöht sich häufig in Folgeschwangerschaften. Das Wiederholungsrisiko beträgt 50 oder 100 %, je nach Homo- oder Heterozygotie des Vaters. Durch Chordozentese kann der Antigenstatus eines Feten festgestellt werden. Bei Vorliegen können ab der 16. SSW bis zur geplanten Entbindung Immunglobuline verabreicht werden, der Fet kann bei ausgeprägter Thrombozytopenie intrauterin Thrombozytentransfusionen erhalten.