Pathomechanismus:
Die beiden wichtigsten verantwortlichen Faktoren sind ein hohes Androgenangebot am Haarfollikel und eine vererbte erhöhte Empfindlichkeit des Haarfollikels für periphere Androgene. Eine Schlüsselrolle für die Umwandlung der Androgene spielt die Aktivität der 5α-Reduktase im Haarfollikel. Dieses Enzym bildet aus Testosteron Dihydrotestosteron (DHT). Bei gesteigerter Aktivität des Enzyms erhöht sich DHT quantitativ. Durch diese Erhöhung (Hyperandrogenämie) oder auch eine Überempfindlichkeit auf DHT verkürzt sich die Anagenphase des Haares. Es beginnt eine androgenetische Alopezie. Offen bleibt die Frage, warum die Follikelregression nur am Kopfhaar und auch dort nur in bestimmten Regionen erfolgt. Neben der erhöhten Empfindlichkeit der Haarfollikel auf Androgene kommen ursächlich auch Störungen in Frage, die das Östrogen/Androgengleichgewicht im weiblichen Hormonhaushalt verändern, beispielsweise das Adrenogenitale Syndrom, Androgen produzierende Tumore der Ovarien oder der Nebennierenrinde sowie Medikamente mit Androgenwirkung. Auch die hormonellen Veränderungen in den Wechseljahren sind durch einen Abfall der Östrogene und einen Anstieg der bioverfügbaren Androgene gekennzeichnet, so dass die Alopezie nicht selten erst in diesem Lebensabschnitt evident wird. Die Folge ist in jedem Fall eine Miniaturisierung der Haarfollkel.
Diagnostik:
Bei Hinweisen auf eine hormonelle Dysregulation (Akne, Hirutismus, Zyklusstörungen) kann eine endokrinologische Untersuchung erfolgen. Mögliche Bestimmungen umfassen
Testosteron, SHBG, DHEA-S, Androstendion und DHT. Sinnvoll ist eine Stufendiagnostik. Zunächst sollte der Freie Androgen-Index (siehe unten) ermittelt werden. Die Bestimmung der Androgenspiegel sollte während der Follikelphase zwischen dem 3. und 6. Zyklustag erfolgen. Da orale Kontrazeptiva das Ergebnis verfälschen können, sollten sie mindestens 2, besser 3 Monate vorher abgesetzt werden.
Topische Lösungen: | ||
Minoxidil-2%-Lösung
Minoxidil-5%-Schaum |
Regaine ®
Frauen Lösung
Regaine ® Frauen Schaum |
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17α-Estradiol-Lösung | Ell-Cranell ®
-alpha
Pantostin ® |
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Systemische Antiandrogene: | ||
Cyproteronacetat | Androcur ® | |
Chlormadinonacetat | Chlormadinon 2 mg fem Jenapharm ®
Inhaltsstoff von hormonellen Kontrazeptiva |
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Dienogest | Inhaltsstoff von hormonellen Kontrazeptiva | |
Drospirenon | Inhaltsstoff von hormonellen Kontrazeptiva |
In großen Studien konnte der Einsatz von
Minoxidil -Externa den Haarverlust bei 80-90 % der Betroffenen stoppen, bei etwa 50 % verdichtete sich das Haarkleid sichtbar. Die Wirkansätze von Minoxidil auf den Haarfollikel sind vielfältig, eines der wichtigsten Wirkprinzipien ist wahrscheinlich die Expression eines Wachstumsfaktors (VEGF) an der Haarpapille. Unter Anwendung der Minoxidil-Lösung bei Frauen dunklen Typs wie Griechinnen oder Türkinnen kommt es in etwa 10-20 % der Fälle zu einer reversiblen Hypertrichose auf der Stirn und im Gesicht. Andere Nebenwirkungen der äußerlichen Minoxidil-Anwendung sind bei etwa 5-10 % der Frauen Juckreiz und Rötung der Kopfhaut.
Minoxidil-Anwendungshinweise:
Zusätzlich lässt sich der Haarwuchs mit einem koffeinhaltigen Shampoo (z. B. Alpecin Coffein Shampoo C1) stimulieren.
Der topische Einsatz natürlicher
Östrogene kann erwogen werden, wenn keine Auffälligkeiten in der Labordiagnostik vorliegen. Die Anwendung hilft dann, einen lokalen Östogenmangel an der Haarwurzel auszugleichen, der auch dann bestehen kann, wenn eine Frau durch entsprechende Präparate systemisch gut östrogenisiert ist.
Bei Frauen mit hormoneller Dysregulation kann eine
systemische Therapie auch mit
antiandrogen wirksamen Gestagenen erfolgen. Werden bei diesen Frauen hormonelle Kontrazeptiva eingesetzt, wird zur
Langzeitanwendung über 6 und mehr Monate geraten (Off-Label-Use), da die Produktion erheblicher Mengen an Androgenen in den Eierstöcken schon innerhalb kürzester Zeit wieder einsetzt, wenn die bei der Anwendung ansonsten übliche siebentägige Pause eingelegt wird. Weitere Hinweise zur systemischen Therapie finden sich noch im Abschnitt
PCO-Syndrom.
Hormonelle Kontrazeptiva
wirken über folgende Prinzipien:
Auch die Anwendung von
Mikronährstoffen kann sich positiv auf das Haarwachstum auswirken. So konnte gezeigt werden, dass Haarfollikel von Frauen mit einer androgenetischen Alopezie gegenüber denen gesunder Frauen einen Mangel an Panthothensäure, Biotin und L-Cystin aufweisen. Im Rahmen eines Diätmanagements kann hier die Anwendung der Kombination aus Hirseextrakt, Pantothensäure und schwefelhaltigem L-Cystin (Priorin® Kapseln) empfohlen werden. Sie erhöhen die Nährstoffdichte in den Blutgefäßen, sodass die Haarwurzeln auch bei geringerer Gefäßdichte mit Nährstoffen versorgt werden.
Herdförmige nicht vernarbende Alopezien:
Die häufigste umschriebene Alopezie ist die Alopecia areata. Es handelt sich um ein bis mehrere herdförmige, scharf begrenzte Kahlstellen, in der Regel reversibel, aber unberechenbar schubweise rezidivierend. Diese Alopezie ist nach der androgenetischen/hyperandrogenämischen und nach der diffusen Alopezie die dritthäufigste Form des Haarausfalls. Sie kommt in etwa 20 % der Fälle familiär gehäuft vor und betrifft Frauen nicht so oft. Außer am behaarten Kopf kann sie auch an jeder anderen behaarten Körperstelle auftreten. Bevorzugte Lokalisationen sind der Hinterkopf und die Schläfenregion. Die Herde entstehen ganz plötzlich und ohne subjektive Symptome. Extremformen sind die Alopecia areata totalis mit völliger Haarlosigkeit des Kopfes und die Alopecia areata universalis, bei der sämtliche Körperhaare fehlen. Als Ursache wird ein Autoimmungeschehen angenommen. Der einzelne Herd ist rund oder oval, scharf begrenzt und komplett haarlos. Als klinische Begleiterscheinung treten bei etwa 20 % der Patientinnen Nagelveränderungen auf, insbesondere Tüpfel- oder Grübchennägel. Eine kausale Therapie existiert nicht. Der Verlauf der Alopezie ist unvorhersehbar. Bei 30 % der Patientinnen dauert der erste Schub weniger als sechs Monate, bei 50 % ein Jahr. Lediglich bei 20 % der Betroffenen wachsen die Haare nicht nach und etwa 70 % aller Patientinnen erleiden Rezidive nach freien Intervallen von wenigen Monaten bis vielen Jahren.
Herdförmig vernarbende Alopezien:
Vernarbende beziehungsweise atrophisierende Alopezien sind eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, die zu einer irreversiblen Zerstörung von Haarfollikeln führen. Auf diese soll hier nicht näher eingegangen werden.